Zrost, Gabi — Der Raum Justizanstalt 2005
Von der Einfahrt bis zur Ausfahrt stehe ich unter Beobachtung. Beamte sehen mir zu, wie ich mit dem Auto in die Schleuse fahre, telefonieren, dass ich komme, dann wird das zweite Tor geöffnet und ich fahre in den Hof, dessen Stirnfront die vielen Fenster der Hafträume der Insassen bildet, die mich ebenfalls beobachten. Vereinzelt kommen aus den geöffneten Fenstern Grußbotschaften oder bereits Forderungen an mich, anonym, außer ich erkenne die Stimme.
Im Wachzimmer hole ich meine Schlüssel ab.
Jeder Raum ist nur mit einem Schlüssel zu öffnen oder wie von Geisterhand aus der Ferne. Das Kameraauge hat gesehen, dass man rein/raus will, und der Summer öffnet.
Mein Arbeitsraum ist in einem etwas abgegrenzten Bereich im Erdgeschoß, zusammen mit anderen Besprechungs- und Behandlungsräumen. Der Arzt, der Zahnarzt, der Psychotherapeut, der Psychologische und Psychiatrische Dienst, sie alle sind unter dem Titel „Sonderdienste“ in einem kleinen Trakt zusammengefasst, was ein Gefühl von „Nicht Öffentlich“ vermittelt.
Alle Abteilungen, die da heißen Zugang, Abt. für Langstrafige, Maßnahmenabteilung, Entlassungsvollzug, sind über unseren Köpfen. Je nachdem wo man sich befindet, hört man Schritte, Rufen, Hanteln, die zu Boden krachen, Musik aus den verschiedenen Kulturkreisen und wieder Rufen, schreiend geführte Unterhaltungen über die geöffneten Fenster, man kann sich nicht anschauen dabei, manchmal Streit, Beschimpfungen, dumpfes Poltern, wenn Körper oder Gegenstände sich zu den Stimmen mischen . . .
Unbegleitet bewegt sich ein einzelner Insasse – je nach Grad der sogenannten Vollzugslockerung – in der Anstalt nur, wenn ein Ziel vorhanden ist. Das Ziel kann sein: ein Besuch im Besucherraum, ein geplantes Gespräch beim Sozialen Dienst oder den anderen Sonderdiensten, der Seelsorger, allerdings ist das „Ziel“ der Initiator der Bewegung des Insassen, er kann nicht selbst bestimmen, wann er welche Räume betritt oder wieder verlässt.
Gruppenweise werden die Insassen zum Arbeitsplatz in den eingeschoßigen Werkstatträumen geführt. Arbeitsgruppen gehen gemeinsam zum Mittagessen, alle Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten, da der Speisesaal nur für eine bestimme Personenanzahl Raum bietet, und wieder zurück zum Arbeitsplatz oder in die Abteilung, wenn die Arbeit für heute beendet ist.
Die Abteilungsgruppen gehen gemeinsam und immer unter Bewachung durch die zuständigen Beamten zum täglichen Abendessen oder zur Ausspeise, der wöchentlichen Gelegenheit, in einem Kiosk eines von draußen kommenden Händlers einzukaufen.
Es sind sich durch die Anstalt bewegende, laute, mit Gerangel und Unruhe verbundene Menschenschwälle, vor verschlossenen Türen stockend, dann wieder durch die Räume fließend, bis zum nächsten Hindernis.
Die Abteilungen beherbergen jeweils 28 Personen, 22 davon in Einzelhafträumen untergebracht, pro Abteilung gibt es zwei 3-Bett-Hafträume. Sehr begehrt sind diese Mehrmannhafträume, da sie größer sind als die Einmannhafträume, aber häufig entsteht bald nach Einzug auch wieder der Wunsch nach Auszug, da das Zusammenleben eine höhere soziale Kompetenz oder Unterwürfigkeit erfordert, oder man hat dann selbst einen Fernsehapparat bekommen und ist daher nicht mehr auf den des anderen angewiesen.
Jeder 8m² große Haftraum bietet die Möglichkeit zum fast privaten Rückzug, es bleibt nicht viel Raum über, der nicht durchs Guckloch überschaut werden kann.
Von 20h bis 7h früh, am Wochenende ab 18h ist „Einschluss“. Man ist im Haftraum eingesperrt. Kommunikation mit den diensthabenden Beamten findet dann über einen Lautsprecher ins Wachzimmer im Erdgeschoß oder durch die Tür mittels einer Klappe ungefähr in Brusthöhe statt.
Kommunikation zwischen den Insassen wird dann über die geöffneten Fenster geführt.
Der Strom wird um Mitternacht abgedreht.
Der Einschluss im Einzelhaftraum ist an der Haft jener Umstand, der von den Jugendlichen als besonders unerträglich beschrieben wird. Das ist das Gefängnis, das ist die Strafe. Allein sein. Dann kommen die Gespenster der Vergangenheit, die Tat wird wieder erinnert, die Schuldgefühle erwachen und der Schlaf ist auf Flucht. Nun, da die Außenräume dunkel sind, werden die inneren lebendig.
Das ist die Zeit, in der ich, wieder von allen beobachtet und beneidet, in meinen kleinen, fahrbaren privaten Raum steige und die Freiheit spüre.
Veröffentlicht in: EIKON Nr 51 Changing Spaces, Eikon Wien 2005
PS: Wesentlich als Psychiaterin ist für mich, dass die Kontrolle und Freiheitsberaubung und Bestrafung, die das Gefängnis gegenüber den Jugendlichen ausübt, mit all seinen tatsächlichen (gebauten) Räumen, resp. den ideellen, die die Autorität, Gericht, Strafe, Subkultur . . . beinhalten, lange nicht als so unerträglich erlebt werden wie die inneren, seelischen Räume, dort, wo die Gespenster und die wahren Gefängnisse und Bestrafungen wohnen.
Zrost, Gabi — Der Raum Justizanstalt 2005
Zrost, Gabi — The Prison Space 2005
From the moment I enter to the moment I leave, I am under constant surveillance. Guards observe me as I go through the security checkwith my car; they make a phone call to say that I have arrived; then the second gate is opened and I enter the prison yard. One of its enclosing walls is made up of the numerous windows of the inmates‘ cells, from which they, too, observe me. Here and there, I can hear someone greeting me or asking me for something. Anonymous voices, except the ones I can recognise.
I go and get my keys in the guards‘ office.
Each room can only be opened with a key; sometimes an invisible hand does so, from far away. The camera eye senses that someone wants to enter or leave, and the door opens with a beep.
My office lies in a somewhat isolated area on the ground floor, next to other conference and treatment rooms. A small corridor houses the so-called „special services“, such as the doctor, the dentist, the psychotherapist, and the psychological and psychiatric services. The impression is of something „not public“.
All of the departments (their names are: entrance dt.; long-term sentence dt.; sanction dt.; release dt.) are above our heads. Depending on where you are, you can hear steps, shouting, a dumbbell hitting the floor, music from different cultures, and again shouting, conversations shouted from open window to open window (the inmates cannot see each other), sometimes quarrels, insults, or the dull rumbling of bodies or objects as they mingle with the voices….
The inmates only move through the institution without escort – depending on the degree of their sentence or its loosening – if there is a reason to do so. The reason may be a visitor in the visitors‘ centre, an appointment with social services or another special service, or the priest. But it is always this „reason“ that initiates the inmate’s movement; he cannot decide for himself when or which room he will enter or leave.
The inmates are led in groups to their workplaces in the facilities. Single workgroups have lunch together, at different times for different groups because the refectory only has space for a limited number of people. Then they go back to their workplace, or to their prison department when the day’s work has been done.
Groups from one prison department are always escorted by officers when they go to dinner or – once a week – to the kiosk, where they have the opportunity to buy goods from an „outside“ merchant.
The floods of people moving through the institution are loud, and along with them come skirmish and noise. They stumble against closed doors, and then they flow onward through the rooms until they encounter the next obstacle.
28 people are incarcerated in each department, of which 22 are in solitary confinement. There are two cells with three beds each. These cells that hold more inmates are much desired, since they are bigger than the single cells, even though many wish to move out soon after moving in: living together demands a higher degree of social interaction or submissiveness. Or an inmate has been given his own TV set and does not require the company of another inmate anymore.
Each 8-sq.m. cell offers the possibility of retreating into an almost private sphere. There is not much space that cannot be seen through a spyhole.
Between 8 pm and 7 am, on weekends from 6 pm, it is time for „lock in“. Inmates are locked in their cells. They can communicate with the guard on duty over a loudspeaker in the guards‘ office or through a door flap at chest level.
On these occasions, the inmates themselves communicate through the open windows.
Electricity is switched off at midnight.
For these teenagers, being locked in a single cell is one of the harshest components of imprisonment. This is prison, then; this is punishment. Being alone. Then the shadows of the past return; they remember their crime, feelings of guilt are wakened, and sleep does not come. Now that the outside space is dark, the inside gets alive.
At this point I go back into my small, mobile, private space again and feel freedom, envied and observed by all of them.
Published in: EIKON Nr 51 Changing Spaces, Eikon Wien
postscript: As a psychiatrist, I feel that it is essential to know that control, the loss of liberties, and punishment – which the prison imposes on these young people, with all its real (built)structures, but also with the abstract spaces of authority, the court, the sentence, a subculture, etc. – do not seem as hard to bear as an inner, mental space. This is where ghosts lurk and the real prisons and punishments reside.