• Piffer Damiani, Marion — Im Gespräch mit Walter Niedermayr 2002

    Die Gegenstände deiner künstlerischen Auseinandersetzung sind Landschaft und Raum. Du begegnest den unterschiedlichen Räumen mit einer »Einstellung«, die den Raum als ästhetisches Phänomen begreift. Jenseits der pragmatischen Wahrnehmung des Alltags werden bestimmte Eigenschaften offengelegt. Um welche Intensitäten handelt es sich?

    Mich interessiert keine Landschaft rein als Landschaft. Mich interessiert die Landschaft dort, wo der Mensch auftritt. Die Arbeiten konzentrieren sich auf die Präsenz des Menschen in der Landschaft. Damit ich aber dieses »Bild« als Bild umsetzen kann, muss die Präsenz des Menschen in einer bestimmten Intensität vorhanden sein. In der fotografischen Transformation werden die Zeichen und Muster der Interaktion sichtbar. Sicherlich steht ein ästhetisches Interesse hinter den Beobachtungen: Der Umgang mit Landschaft oder das Raumbewusstsein sind natürlich auch ästhetische Fragestellungen.

    Die im Raum oder in der Landschaft entstandenen Aufnahmen werden anschließend zu mehrteiligen Bildkompositionen zusammengesetzt. Die einzelnen Sequenzen überschneiden sich motivisch an den Bildübergängen und bewirken dadurch einen gedehnten oder gestreckten Raumeindruck. In der Zusammenschau ergibt sich ein konstruiertes, künstliches Panorama. Welches Programm steht hinter diesem konzeptuellen Schema, das die wahrgenommene Substanz strukturiert?

    1987 habe ich die erste Arbeit dieser Art realisiert. Damals kreisten die Diskussionen um die Frage des Dokumentarischen, den dokumentarischen Stil. Bernd und Hilla Becher waren tonangebend. Ich wollte für mich einen anderen Weg finden. Dieser führte zum einen über das Sequenzielle und zum anderen über das Zurücknehmen der Bilddichte. Zuerst in der Schwarzweißfotografie und dann auch in Farbe.

    Die Frage, um die es mir dabei grundsätzlich geht, ist: Was ist Raum und was ist Raumrealität? Raum ist ja eine subjektive Geschichte. Das, was du siehst, generiert sich immer aus dem, was du an Wissen über das Wahrgenommene in dir hast. Es handelt sich nicht um etwas direkt Übertragenes. »Wahrnehmung ist als Handlung eines Subjekts zu begreifen«, wie Olaf Breidbach sagt. »Weltbilder sind keine Abziehbilder eines sich mehr oder minder unvermittelt im Innenraum des Schädels einstellenden Außen. Weltbilder sind zunächst und vor allem innere Bilder.«1Vgl. Olaf Breidbach, Das Anschauliche oder über die Anschauung von Welt: Ein Beitrag zur neuronalen Ästhetik, Wien 2000.

    Raum wird in dir transformiert. Und Raum wird über die Fotografie transformiert. Die Bildrealität hat mit der Raumrealität nur noch entfernt etwas zu tun. Das Arbeiten in Sequenzen hängt mit dem Hinterfragen der Konstruktion von Bildräumen und der Funktion von dokumentarischen Bildern zusammen, die auch nur eine vage Form von Wirklichkeit sind. Sie werden lediglich als solche vorgegeben und akzeptiert.

    In deinen vielteiligen Kompositionen fügen sich die Sequenzen zu einem komplexen Raumbauwerk aus verschiedenen Etagen und Verbindungsgängen zusammen. Eine Komplexität, die sich zugleich gegen die traditionelle Konzeption vom Raum als etwas Statischem wendet und eine dynamische Vorstellung vom Ablauf der Wahrnehmung visuell konkretisiert.

    Es ging mir immer darum, das Bild aus der Starre zu lösen, das eine fixe Bild. Es gibt ja nicht nur das eine Bild. Wenn du ein Bild sequenziell ablaufen lässt, sodass es Überlappungen, Verdopplungen und Brüche gibt, kommt das Zeitliche ins Spiel. Das Relativierende. Die Wiederholungen in den einzelnen Bildsequenzen haben mit zeitlichen und bildräumlichen Verschiebungen zu tun.

    Die einzelnen Arbeiten mögen jetzt als in sich geschlossene Werke erscheinen. Man könnte sie aber durchaus noch verändern, etwas einfügen, komplett neue Bildkonstellationen schaffen. In der Verschiebung der einzelnen Bildelemente gibt es dabei immer wieder auch Brüche mit der gerade in der Fotografie gewohnten rechteckigen Symmetrie. In diesem Zusammenhang wurde auch schon der Vorwurf erhoben, meine Arbeit sei fragmentarisch. Fotografie ist immer ein Ausschnitt von dem, was du siehst. Im Grunde ist jede Fotografie ein Fragment aus einem komplexeren Gefüge.

    Die visuelle Repräsentation in deinem Werk konzentriert sich auf ganz bestimmte Schauplätze, wie die hochalpinen (touristisch erschlossenen) Landschaften, wie die Raumfolgen der so genannten »totalen Institutionen« (Krankenhäuser, Gefängnisse, Klöster…), wie die urbanen Verkehrsadern der Autobahnen oder auch die Baustellenarchitekturen. Die serielle Wiederholung scheint dabei System zu haben. Welche künstlerische Motivation lässt dich die Serie dem Einzelbild vorziehen?

    Mich interessiert, von der kultischen Zelebration des fotografischen Einzelbildes abzusehen, dasselbe Motiv in verschiedenen Zeitphasen zu fotografieren und Veränderungen – wenn auch nur geringfügige – festzuhalten. Zudem akzentuieren Bildsequenzen und Bildsprünge tatsächliche oder vermutete Brüche im Gefüge der Topografie ähnlich wie in der Wahrnehmung. Die Strategie der Wiederholung in Form von minimalen Differenzen, Überschneidungen und entgegengesetzten Blickwinkeln bewirkt irritierende Effekte, die den Kurzschluss zwischen Wirklichkeit und Bild immer wieder unterlaufen.

    Das Arbeiten in Serie vereint die Akribie des Wissenschaftlers mit der Leidenschaft eines Besessenen. Inwiefern beinhaltet das Arbeiten in Serie auch einen selbstreferenziellen Aspekt? Inwieweit ist das Prinzip der Wiederholung ein Hinweis auf die serienmäßige Befriedigung von Sehnsüchten etwa bei der Auswahl und Ausstattung touristischer Ziele (»Tourismusindustrie«)?

    Es gibt Orte wie die alpinen Landschaften, Orte der Projektion: Die Menschen projizieren ihre Sehnsüchte in diese Räume und gehen mit bestimmten Vorstellungen hin. Ihre Erwartungen werden dann in Serie abgefertigt: Es ist eine Konsumwelt, wobei man aber gar nicht so genau weiß, was da überhaupt konsumiert wird. Das sind für mich eigentlich die interessantesten Orte, solche Orte gibt es überall auf der Welt, touristische Orte. Sicher ist die serielle Wiederholung ein Bildmittel um die Redundanz zu unterstreichen.

    Der alpine Raum bildet seit über 15 Jahren den Kontext für deine Feldforschungen. Warum über einen so langen Zeitraum, immer wieder und immer noch?

    Weil sich alles andauernd verändert. Räumlich gesehen, aber auch die Menschen, die Moden. Nirgends verändern sich die Dinge so schnell wie in den Räumen, wo sich Touristen bewegen: Jede neue Sportart schafft neue Bewegungsformen und dadurch neue Strukturen in der Landschaft, veränderte Präsenzen. Allein während des kurzen Zeitraums, in dem ich selbst im alpinen Raum arbeite, haben sich die Dinge schon mehrmals verändert. Man denke zum Beispiel an das Snowboarden und wie das die Pistenlandschaft verändert hat…

    Das sind die kurzfristig sichtbaren Veränderungen. Die langfristigen Veränderungen vollzieht die Natur selbst – etwa die Gletscher, die sich zurückziehen…

    Von den alpinen Räumen über die Raumfolgen der Krankenhäuser oder Gefängnisse zu den Autobahnkreuzungen: Die Motive deiner Arbeiten zeichnen die Bewegungen der Menschen im Raum auf. Die mehrteiligen Sequenzen reflektieren die Strukturen, die entwickelt wurden, um die Massengesellschaft zu organisieren. Welche Ausdrucksformen hält heute die Architektur dafür bereit?

    Die verschiedenen Räume haben alle etwas miteinander zu tun. Es sind zweckbestimmte Räume, die Handlungen strukturieren und organisieren, alltägliche wie bei den Autobahnen oder auch touristische wie in den alpinen Räumen, wo wir es mit einer Art Leitsystem des Vergnügens zu tun haben. Uniformierung und Wiederholung kennzeichnen diese Raumstrukturen in den Handlungsabläufen und meistens auch in der Architektur.

    Unabhängig davon, ob du im Außenraum fotografierst oder im Inneren eines Gebäudes, relevant ist der Raum als Phänomen und Zeichensystem und weniger der Raum als spezifische Lokalisierung. Die Methode zielt darauf ab, vom konkreten Fall zu transzendieren, um sich auf das Raumerlebnis selbst zu konzentrieren. Wie würdest du das Wesen dieses Erlebnisses beschreiben?

    Dieses Raumerlebnis hat jedenfalls nichts mit Architektur (im Sinne von Design) zu tun, sondern mit Raum an und für sich. Symptomatisch ist die mit Rohbauten betitelte Serie, wobei es sich um Baustellen handelt. So ist es vollkommen unwichtig, ob es sich um die Baustelle eines mehr oder weniger namhaften Architekten handelt. Letzteren würden meine Bilder als Dokumentation seiner Arbeit wahrscheinlich gar nicht interessieren, weil ich den Raum in einem Stadium fotografiere, wo so etwas wie eine Handschrift noch gar nicht sichtbar ist. Zu diesem Zeitpunkt gibt es noch keine Assoziationen zu bestimmten Architektursprachen oder Baustilen, es sind noch funktionslose Räume in einem Zustand der Externalisierung des Innenlebens. In ihrer Rohheit sind sie einfach nur selbstreferenziell. Ein Raum hat in seiner Leere eine andere Wirkung als in seiner Eingeräumtheit. Das hat auch mit Stille zu tun.

    Die systematische Auseinandersetzung mit bestimmten Motiven aus der uns umgebenden Wirklichkeit erfolgt mit den Bildmitteln der Fotografie. Was bedeutet es für dich, fotografisch zu sehen?

    Meistens gibt es im Kopf eine Vorstellung davon, wie der Bildausschnitt in der fotografischen Umsetzung aussehen könnte. Das hat mit Erfahrungswerten zu tun und damit, dass ich immer wieder mit den gleichen Mitteln arbeite. Ich ändere daran nicht viel. So setze ich meistens die gleichen Bildwinkel ein. Ich verwende nur zwei bis maximal drei Bildwinkel. Im Gegenzug muss ich mich dann eben mehr bewegen. Dasselbe Ergebnis könnte ich durch den Einsatz einer aufwändigeren Technik und weniger Bewegung erreichen. Ich ziehe es aber vor, von minimalen technischen Bedingungen auszugehen. Dadurch bekomme ich ein Gespür dafür, wie ich mich im Raum bewegen muss und wo für mich die richtigen Standpunkte sind.

    Dieses Erkunden von Blick- und Standpunkten aus dem Bewegungsvorgang heraus kommt meiner seriellen Arbeitsweise entgegen, da sich Bilder dauernd verlagern, verschieben, wiederholen. Deshalb studiere ich topografische Karten, aus denen ich Höhenschichten ablesen kann. Dadurch bewege ich mich auch leichter in der Landschaft und kann mir im Vorhinein im Kopf eine Vorstellung von der Situation machen, zum Beispiel einen geeigneten Punkt zu finden, um den Ort zu überblicken. Es geht dabei nicht um einen Überblick im militärischen Sinne, sondern um einen Einblick in die Funktion des Ortes, die Bewegungen der Menschen, den Kreislauf der Dinge.

    Ein anderes wichtiges Thema ist die Distanz: Ich brauche eine bestimmte Entfernung, um die Bildneutralität herzustellen, die für meine Arbeit wichtig ist. Nichts darf dominieren im Bild, damit alle Elemente die gleiche Wertigkeit und Sichtbarkeit haben, von den Menschen bis hin zu den Objekten und Architekturen.

    Ein besonderes Gewicht in der Kognition und Repräsentation des Raumes kommt den Dimensionen der Horizontale und der Vertikale zu. Geometrisch betrachtet, sind alle Richtungen im Raum gleichwertig, auch wenn dies für die Raumorientierung nicht zutrifft. Anhand deiner Werke lässt sich nun zeigen, dass der Fotoapparat ein Instrument darstellt, »um unseren Horizont zu erweitern«. Wie erlebst du Richtungen und Ausdehnungen in deiner Arbeit? Und welche Rolle spielen die Repräsentationen von Landkarten, die sich in deinem Werk immer wieder finden?

    Wenn ich Bilder zusammensetze, wird der Horizont verlängert, gestaucht, scheinbar erweitert. Durch die Überlappung des Motivs ergibt sich wieder eine durchgehende Linie. Das sind Arbeitsstrategien. Beim Arbeiten vor Ort ist der Horizont hingegen einfach eine Linie, die sich beim Zusammensetzen der Bilder verbindet. Arbeite ich in der Ebene, dann bewege ich mich meistens nur in der Horizontalen, gewissermaßen im Kreis. Arbeite ich im alpinen Raum, ist die Situation wieder eine andere, da geht der Blick gleichzeitig nach oben und unten, weil ich meist eine Vertikale vor mir habe. Grundsätzlich entstehen meine Arbeiten schon mit der Vorstellung einer sequenziellen Bildkonstruktion, was eine andere Arbeitsweise als die Realisierung von Einzelbildern bedingt.

    In vielerlei Hinsicht sind Landkarten mit der Fotografie verwandt. Beide repräsentieren Raum mittels eines zweidimensionalen Mediums. Die Karten verwenden darüber hinaus ein ausgeklügeltes System an Symbolen, um geografische Orte zu beschreiben, eine Art Universalsprache mit einem faszinierenden räumlichen Darstellungspotenzial.

    Die Ausdrucksqualität von fotografischen Bildern hängt wesentlich von ihrer Lichtsubstanz ab. Deine Arbeiten kennzeichnet ein sehr diffuses Licht, das die Räume und Farben gleichmäßig erhellt.

    Ich will eine neutrale Lichtsituation herstellen, ein diffuses Licht, auch indem ich Farbe zurücknehme. Es ist die Dichte, die ich beim Vergrößern wegnehme. Dadurch wirken die Farben weniger intensiv. Dass meine Farbgebung leichter wirkt, hat mit den vorgegebenen Bildklischees der Fotografie- und Medienindustrie zu tun, die durchweg mit satten Farben oder Kontrasten operiert. Ich arbeite gegenläufig und nehme die Farben zurück. Durch Filtern und Aufeinanderabstimmen werden die Farben präziser und differenzierter.

    Immer wieder fragen sich die Betrachter deiner Bilder, ob und in welcher Form es sich um »manipulierte« Fotografien handelt. Was bedeuten für dich »Manipulation« und »Naturalismus« in der Fotografie?

    Zum Begriff »Naturalismus« habe ich eigentlich gar keinen Bezug. Sobald ich ein technisches Gerät verwende, ist es mit Naturalismus vorbei. Aber was mich die Leute wirklich am häufigsten fragen, ist, ob ich die Bilder oder Teile davon manipuliere. Dazu kann ich nur sagen, dass ich nichts verändere. Das Bild ist immer etwas anderes als das, was du siehst. Der Ansatz mag noch so dokumentarisch sein, es wird durch die Umsetzung über das Medium immer eine Transformation geben.

    Das Ganze hat wiederum mit der Natur der Raumerfahrung zu tun: weil du das, was du siehst, mit allen Sinnen erfasst, und das Bild im Vergleich dazu etwas ganz Eigenes ist, eine auf Zweidimensionalität reduzierte Fläche. Das Andere, Komplexere gibt es vielleicht noch als Erinnerungswert. Manches kannst du vielleicht im Kopf rekonstruieren. Da spielt sicher eine Rolle, wie deine Bildwahrnehmung funktioniert und welche Inputs dein Wahrnehmungssensorium beinhaltet.

    Deinen fotografischen Werken kann man in zwei – eigentlich sehr unterschiedlichen – Präsentationsformen begegnen: zum einen in der großformatigen Komposition, die gerahmt an der Wand hängt, und zum anderen auf den Seiten eines Buches wie dem vorliegenden. Wie differenzierst du zwischen den beiden Aspekten?

    Das Buch ist eine intime Geschichte auf reduziertem Raum. Große Sequenzen lassen sich hier nur in einem sehr beschränkten Format sichtbar machen. Sehr klein eigentlich, wie bei einem Modell. Bei einer Präsentation im Raum hingegen kannst du fast in das Bild hineingehen, auf das Bild zugehen. Das Buch bietet eine Draufsicht, eine Vorstellung, aber auch eine Übersicht.

    Deshalb ist es auch wichtig, einen bestimmten Rhythmus und eine bestimmte Logik hineinzubringen. Die Logik eines Buches ist eine andere als die einer Ausstellung. Manchmal lasse ich auch ein Bild über den Falz laufen, was die Puristen verwundert, aber der Falz ist ebenfalls Teil des Buches. Ein Buch ist im Grunde ein für sich stehendes Objekt und hat eine andere Poetik als eine Ausstellung, bei der ich im Verhältnis zum Raum arbeiten muss. Der umgebende Raum ist für mich mindestens gleich wichtig wie die Arbeiten selbst. Der Raum muss als Raum wirken können mit den Arbeiten, die in diesen Raum hineingetragen werden. Es muss ein Gleichgewicht zwischen effektivem Raum und Bildraum hergestellt werden.

    Was macht die Poetik des Buches aus?

    Ich muss es durchblättern können, ohne dass spürbare Brüche da sind. So wie beim Daumenkino. Der Ablauf der Bilder in diesem Buch geht vom Außenraum – den alpinen Räumen – über die Autobahnen nach innen zu den Rohbauten und den Raumfolgen der Krankenhäuser und Gefängnisse. Er führt von den Außenräumen, die mit Bewegung zu tun haben, in die Innenräume der Rohbauten, die in ihrer temporären Erscheinung sichtbar werden, zu den Krankenhäusern und Gefängnissen, die auf existenzielle Weise mit Bewegung zu tun haben: mit Kommen und Gehen, mit Leben und Tod, mit Einsperren und Aussperren.

    In den Arbeiten, die du in den Südtiroler Bahnhöfen realisiert hast, oder auch im ehemaligen Hotel Kusseth in Bozen wurde das Verhältnis Bild – Raum – Raumbild explizit thematisiert. Die Bilder vom Raum zogen in ihre eigenen Schauplätze ein.

    Bei den Bahnhöfen war das Projekt so angelegt, dass die Aufnahmen der Wartesäle in denselben Wartesälen installiert wurden. Dabei wurde dieselbe Rahmung verwendet, die die Bahn für ihre Tourismus- oder Eigenwerbung an diesen Orten benutzt. Das machte die Präsentation subtil, sodass sie vielleicht auch erst auf den zweiten Blick bemerkt wurde. Die Intention war das Bewusstmachen von Räumen, die jeder jeden Tag sieht und wahrscheinlich gar nicht mehr wahrnimmt.

    Beim Kusseth-Projekt in Bozen hingegen wurden die Bilder von den ehemaligen Hotelräumen in den ausgeräumten Zimmern des aufgelösten Hotels präsentiert. Dabei wechselten sich in der Raumflucht offene und geschlossene Räume und solche mit Bildern der Räume ab. Es entstand ein bestimmter Wahrnehmungskontext, der Erinnerungswerte evozieren sollte.

    Ein Projekt, das ich gerade in Frankreich im öffentlichen Raum realisiert habe, gestaltet sich nach ähnlichen Prinzipien: Nördlich von Paris gibt es einen Stadtteil, der von vielen Autobahnknotenpunkten umkreist ist. Aufnahmen davon wurden auf den üblichen Werbeflächen der Bushaltestellen platziert und dadurch Situationen ins Zentrum der Stadt geholt, die man sonst aus dem Bewusstsein verdrängt. Man durchfährt sie zwar tagtäglich, nimmt sie aber nur flüchtig wahr, weil die Geschwindigkeit, mit der man sie durchquert nur mehr eine diffuse Sicht der Dinge zulässt.

    Deine Bilder thematisieren eine kanalisierte oder optimierte Beweglichkeit im urbanisierten Raum. Handelt es sich eher um die Aufzeichnung von Symptomen oder um ein Modell der Gesellschaft selbst?

    Ich glaube beides: Wenn du in Europa Autobahnen fotografierst, dann ist es so, dass du die Autobahn immer als etwas Externes im Verhältnis zur Stadt erlebst, nicht als etwas Inhärentes oder zur Stadt Gehörendes: In Paris etwa gibt es eine hohe Verdichtung an den Autobahnknotenpunkten, Bahnen in mehreren Schichten. Trotzdem gleicht das Ganze einem Geschwür, das zwar zur Stadt gehört, aber nicht wie etwas das die Stadt ausmacht. In Tokio dagegen erlebst du die Autobahn als Teil der Stadt, als eine Einheit mit der Stadt. Dort fährst du mit der Autobahn praktisch durch die Häuser, da zeigt sich ein anderer Umgang mit Raum, obwohl letztendlich der Einfluss auf die urbane Entwicklung gleich stark ist. Autobahnen sind prekäre Landschaften, die auch dadurch prekär werden, weil man sie nicht voll akzeptiert, als Situationen, die zur Stadt gehören, zum Stadtbild.

    In der Repräsentation der verschiedensten Räume und Orte entschwinden systematisch gerade jene topografischen Hinweise, die eine Wiedererkennbarkeit zur Folge hätten. Bei den alpinen Räumen kehrt der Hinweis in den Bildtiteln zurück, während die anderen Werkzyklen ganz darauf verzichten.

    Während es bei anderen Künstlern genau um diese Wiedererkennbarkeit oder Eindeutigkeit geht, darum dass du sagst: Das ist die Sicht auf Bozen, eindeutig auf Bozen, sind die Orte in meinen Arbeiten austauschbar. Es kann genauso in Squaw Valley sein wie in der Schweiz oder in Südtirol. Die Angabe der Orte in den Titeln hat eigentlich nur einen archivarischen Grund. Bei den Krankenhäusern und Autobahnen gebe ich gar keinen Ort mehr an. In ihrer Architektur sind die Orte uniformiert und austauschbar, mit geringfügigen Nuancen.

    Mir geht es nicht darum, kulminierende Momente sichtbar zu machen, sondern aus meiner Sicht den »Normalzustand« des alltäglichen Lebens zu zeigen. Ich fahre nicht dorthin, wo das Sensationelle und Außergewöhnliche passiert, das die Landschaft in einen Ausnahmezustand versetzt. Mich interessiert das nicht.

    Ohne jetzt den viel zitierten Begriff der »Nicht-Orte« zu strapazieren?

    Die »Nicht-Orte« sind ein Klischee. Was ist schon ein Nicht-Ort? Für mich kann etwas ein Nicht-Ort sein, was für einen anderen ein Ort ist. Das hat mit sozialer Identität zu tun. Für mich gibt es nur Orte. Selbst von Orten wie Autobahnkreuzungen, die in ihrer Art extrem sind, geht für mich eine Faszination aus. Mitten in einem Autobahndreieck ist die Raumwahrnehmung eine ganz andere als auf dem Gletscher.

    Die Orientierung des Menschen im Raum und seine Wahrnehmung des Räumlichen hängen von der Anatomie des Körpers ab, von den Sinnesorganen und von den konkreten Gegebenheiten der Raumwirklichkeit. Was bedeutet es für dich, Räumlichkeit zu sehen und zu vermitteln?

    Das passiert eigentlich vor dem Fotografieren. Der spannendste Moment ist immer der, wenn du mit allen Sinnen den Raum wahrnimmst und sich dann das Bild oder die Bildvorstellung im Kopf formiert. Letztendlich machst du dann das Bild. Aber das Raumerlebnis ist immer Riechen, Hören, Sehen, Tasten. Deshalb ist die herkömmliche Architekturfotografie der Hochglanzmagazine problematisch, weil dort eine Nivellierung auf Standards von Mode und Design stattfindet.

    Durch die Montage der fotografischen Sequenzen suggerieren deine Bildkompositionen die angehaltene Bewegung. Nicht im Sinne einer Momentaufnahme, sondern als Indizien eines Ganzen. Auf derselben Methode beruhen die neuesten Videoarbeiten.

    Video ist ein ganz anderes Medium. Trotzdem gibt es einen Zusammenhang mit meinen Fotografien. So sind die Videoarbeiten eigentlich nichts anderes als Bildwiederholungen in Form eines Loops. Ein Video zeigt ein fahrendes Auto von hinten, das auf seiner Ladefläche aufrecht positioniert die naturalistische Bronzefigur eines Hirschen durch die Landschaft transportiert. Die Szene habe ich in Colorado aufgenommen, als das Auto vor uns herfuhr. Mich hat die Situation spontan interessiert: dieser Hirsch, der statisch in die Landschaft schaut – er ist ja nicht lebendig – und dabei doch bewegt wird. Ein zweites Video zeigt auch wieder die Ladefläche eines Pick-up von hinten, diesmal ist ein Hund zu sehen, der dauernd im Kreis läuft. Wie der Hirsch bewegt sich auch der Hund durch die Fahrt auf dem Auto scheinbar fort. Beim Hirschen kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Hinter der naturalistischen Bronzefigur steckt das Bedürfnis nach Natur in dem Moment, in dem Natur entschwindet. Das ganze Naturbedürfnis ist nach Gernot Böhme ein ästhetisches Bedürfnis. Sobald man das Gefühl hat, etwas ist im Entschwinden begriffen, versucht man es mit Bildern einzuholen. Auch das ist der Hirsch.

    Wie siehst du die künstlerische Arbeit im gesellschaftspolitischen Kontext?

    Die Kunst wird in ihrem Einfluss auf die Gesellschaft überschätzt. Die Kunst kann Fragen stellen und kann Dinge in Frage stellen. Die großen Einflüsse kommen aus einem anderen Bereich, aus einem ökonomisch-politischen. Ein wichtiges gesellschaftliches Moment ist, dass die Bilder der Kunst die Bilder der Medien unterwandern. Im Übrigen verändert eher die Gesellschaft die Kunst als umgekehrt. Und Kunst hilft die Veränderungen, auch die eigene Entwicklung, wahrzunehmen. Am meisten reift man ja auch selbst damit.

     

    Veröffentlicht in der Monographie: Zivile Operationen