Glasmeier, Michael — Die gelben Kammern 2003
Mit dem neuen Umspannwerk Innsbruck-Mitte schuf Ben van Berkels UN Studio (Amsterdam) im Hinterhof der Stadtwerke ein basaltschwarzes Wesen: Unentbehrlich für das tägliche Leben jedes Stadtbewohners, aber vollends verschlossen. Dabei ist das Nervenzentrem eine Augenweide: Wände, Decken, Schränke – alles gelb. Der Fotograf Walter Niedermayr defloriert den „Gelben Raum“, Michael Glasmeier schreibt über die Architektur und deren Ablichtung, Dipl.Ing. Paul Nagl von den Innsbrucker Kommunalbetrieben spricht über die Technik.
Was vermag die Fotografie von Architektur? Sie kann uns sachlich von einem Gebäude berichten. Sie kann uns aber auch zu Gedanken ermutigen, die ein Gebäude im eigentlichen Sinn architektonisch, d.h. räumlich werden lassen: von der einmaligen Konkretheit zur Konstruktion von Raumerfahrung. Die neuen Fotoarbeiten, die Walter Niedermayr vom inneren Licht des Umspannwerks in Innsbruck aufgenommen hat, sprechen über eine rätselhafte Präsenz, welche die Kraft besitzt, vom Gebäude wegzugehen, um wieder zu ihm zurückzukommen.
Ist und war es doch eine Strategie der architektonischen Moderne, das Geheimnis aus dem öffentlichen Bewusstsein zu vertreiben, Klarheit und Einsehbarkeit herzustellen, die Offenbarung selbst als latente Durchsichtigkeit zu inszenieren. Die architektonische Postmoderne macht hier weiter, indem sie diese Durchsichtigkeit äußerlich umspielt und etwas umtanzt, das vorgibt, geheimnisvoll zu sein, um letztendlich doch in banal funktionalen Grundrissen zu enden. Da ist die Enttäuschung um so größer.
Die Auskoppelung des Geheimnisses bedeutet Verlust an Poesie, Utopie und „Denkraum“ (Aby Warburg). Der Umherschweifende, der wandernd Gehende schreitet von Enttäuschung zu Enttäuschung; denn jenes „Sprechen der verhallenden Schritte“ (Michel de Certeau), jene „Poetik des Raumes“ (Gaston Bachelard) der wechselseitigen Spannung von Geöffnetem und Geschlossenem verlangt nach dem Geheimnis hinter der Mauer, der Wand, dem Ornament. Eine Architektur des Geheimnisses fordert eine Besinnung auf den inneren Kern eines Gebäudes und – ähnlich der Poesie – ein Denken von innen nach außen. Mit den Sakral- aber auch Profanbauten von der Antike bis ins Barock ist diese intellektuelle Dimension wie selbstverständlich anwesend. In nachchristlicher Zeit werden zum Geheimnis das Wohnen selbst (Eugène Sues „Mysterien von Paris“), die Fabrikation (Herstellung von funktionaler Klarheit) und die Transformation (Verwandlung von Stoffen und Energien): insgesamt rätselhafte Vorgänge und Gebräuche, die gesellschaftlich nützlich, aber genau betrachtet sensationell hermetisch sind.
Dem Blick entzogen
Doch wo Wohnen und Fabrikation sich noch halböffentlich präsentieren, finden die transformativen Akte sozusagen in aller Stille statt. Chemiefabriken, Atomkraftwerke u.a. sind publikumslose funktionale Wehrbauten, hinter deren Mauern etwas passiert, gänzlich dem Blick entzogen. Weniger abgeschlossen sind jene Umspannwerke, in denen gewaltige, ungebändigte Elektrizität zu Haushaltsstrom umgeformt wird. Mit dem Neubau in Innsbruck gelingt es, dieser Transformation ihr eigentliches Geheimnis zurück zu schenken.
Ausgangspunkt für dessen herausragende Architektur von UN studio/Ben van Berkel ist eben das technische Mysterium, das sich hinter einer leicht gewölbten und abgerundeten Außenhaut aus matt dunklem Basalt verbirgt, die nachts gelassen ein inneres Licht ausstrahlt. Das Gebäude ist aus einem Guss, unaufgeregt durchbrochen von Lichtschlitzen und Elementen einer äußeren, physiognomischen Bewegtheit. Es ist ein ruhiges Gebäude von unabweisbarer Selbstverständlichkeit. Es verbirgt etwas, weil es von innen her prozesshaft gedacht ist, weil seine Haut nicht einfach die Funktion überlagert, sondern eben jene Berührungsfläche ausbildet, die Innen und Außen unauflöslich miteinander verbindet.
Das Gebäude „entbirgt“ drei hohe Transformationsräume, die im Erdgeschoss nebst den Zuleitungsschalträumen von 25.000 V und 110.000 V eng beieinanderliegen. Andere Funktionsräume wie für Tonfrequenzsteuerung und 10.000 V Schaltungen verteilen sich auf weiteren Etagen. Die Materialien sind Beton, Glas und Stahl, Primärmaterialien also, die entweder farblich prononciert oder in ihrer Eigensprachlichkeit belassen werden.
Was hier im Inneren stattfindet, ist ein komplexes Ereignis, dem Mysterium der Transformation entsprechend. Niedermayrs paarweise organisierte Fotoserie zeigt die Konstruktion dieses Innen als Inszenierung von Licht, von Brechung und gegenseitiger Präzisierung der Materialien. Die Klarheit seiner Fotos temperiert das Gleißende wie das Warme, die technische Wahrheit wie das Anthropologische, vermittelt durch Worte, Zahlen, Kabel oder Feuerlöscher.
Poetik des Raums
So ist Niedermayr wie jeder gute Poet ein Verräter; denn gerade die gelben Kammern, die wir nie betreten dürfen, entschlüsseln zwar den Ort der Transformation, aber an die Wandlung müssen wir glauben. Was bleibt, ist das Gelb, als musikalische Farbe nach Kandinsky, als Farbe der Sonne und der Energie. Gelb bildet das Immaterielle, das Zeigbare, das nicht gezeigt werden kann. Der Verräter hütet das Geheimnis, das strahlt, weil es eingeschlossen ist, und weil es eingeschlossen ist, strahlt es. Inclusum labor illustrat, oder fotohistorisch: von der dunklen Kammer über die helle zur gelben Kammer.
Das Geheimnis entkleidet sich nicht. Es präzisiert sich in Zweiseitigkeit, d.h. in Richtungs- und Ansichtswechseln. Das „Sprechen der verhallenden Schritte“ artikuliert sich mit diesen Fotografien ebenso wie eine „Poetik des Raums“, die das Mysterium nicht leugnet, sondern auf ihm besteht, um dem Denken einen Ort zu geben.
Veröffentlicht in: Quart — Heft für Kultur Tirol Nr. 01/03, 2003 mit einem Bildbeitrag von Walter Niedermayr